Prolog
Der ökonomische Blick im Gesundheitswesen, der den Patienten als Kunden ansieht, verändert zunehmend das bisherige Verhältnis zwischen dem Patienten als Homo patiens und dem Arzt bzw. Therapeuten als Homo curans. Der Patient ist „Kunde“ und wird damit vom Arzt, der „Leistungserbringer“ ist, vermehrt im Sinne der Erlössystematiken als Erlösquelle ebenso wie als Kostenfaktor wahrgenommen. Damit verbunden wird eine Vielzahl an Daten über den kranken Menschen erhoben und der Krankenversicherung übermittelt. Auf diese Weise zeigt sich der Einfluss des homo oeconomicus, der zwar im Wellness-Bereich zutreffend von Angebots- Nachfrageverhältnissen ausgeht, jedoch keinesfalls in der Akutmedizin passend ist. Außerdem bestimmen zunehmend medizinrechtliche Aspekte das Verhältnis zwischen Patient und Arzt.
Besonders bedenklich ist aber der Umstand, dass der Mensch in der Medizin heute zunehmend als Organsystem gesehen wird, dessen Funktionsweise auf biomolekularen Mechanismen beruht. Der Arzt wird damit zunehmend Bioingenieur und Biotechnologe, der durch chirurgische oder medikamentöse Methoden die Funktionsstörungen zu beseitigen versucht. Auch in der Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik werden seelische Prozesse zunehmend reduktionistisch mit Gehirnprozessen gleichgesetzt. Daraus ergibt sich ein einseitiges biomedizinisch begründetes Menschenbild mit einem Verlust der Psychologie, Soziologie, Anthropologie und Philosophie.
Diesen Entwicklungen gegenüber steht das Erleben des Subjekts, das mit der Krankheit als persönliche Funktionsstörung konfrontiert und in seinem Selbstverständnis erschüttert ist. Das die Krankheit erlebende Subjekt, der Homo patiens, fühlt sich in einem zunehmend industrialisierten Medizinbetrieb verlassen und unverstanden, wovon Frauen laut Gender-Forschung besonders betroffen sind. In manchen Fällen und Bereichen ist allerdings auch blindes Vertrauen in die technologischen Optionen der Medizin beobachtbar, mit der Enttäuschung, wenn das Behandlungsergebnis nicht ausreicht.
Viele große Mediziner haben sich um ein differenziertes Menschenbild in der Medizin bemüht: Grundlegend wirkte Viktor von Weizsäcker mit seiner Pathosophie, eindrucksvoll war Viktor Frankl und zuletzt Thure von Uexküll mit seinem Werben für eine integrative Medizin.
Bei der Tagung sollen daher Ansätze einer reduktionistischen biotechnologischen Medizin mit ganzheitsorientierten Ansätzen in Beziehung gesetzt werden. Dabei sollte berücksichtigt werden, dass nicht alle Patienten sich als gesamte Person der Medizin darbieten wollen, sondern nur bezüglich ihrer Störung, die sie repariert haben wollen.
Auch ist die Rolle der Ökonomie zu beleuchten.
Es geht bei dieser Tagung um das Aufspüren von Orientierungen, wie eine moderne Medizin technisch effektiv und ökonomisch effizient gestaltet sein kann, aber dabei den ganzen von der Krankheit betroffenen Menschen weiterhin im Blick hat. Ziel ist es, das Potential der molekularen Biomedizin kritisch zu sondieren und mit der Sicht der leidenden Subjekte, aber auch der Krankenversicherungen, in Beziehung zu setzen.
Der Dialog zwischen Psychologie und molekularer Medizin, zwischen Philosophie und Anthropologie, Biologie, Soziologie und Ökonomie soll die interfakultative Spannung dieses Themas verdeutlichen und Lösungsperspektiven darstellen.
mit Unterstützung von
Department für Verhaltensbiologie
Universität Wien
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